Die Unschuld trägt ein weißes Kleid und an ihrem Gürtel eine Schere.
Die Schere ist scharf wie das Schwert eines Samurai und schmeckt nicht nach Stahl, sondern nach weißem Sommerflieder und schlummernder Vergessenheit.
Schließlich ist es die Schere der Unschuld.
Wonach sollte sie sonst schmecken?
Alles, was ihr über die Unschuld wusstet war das mit dem weißen Kleid und dass sie verloren geht, sobald ihr alt genug seid, um das Geheimnis der Liebe zu entdecken.
Das zweite war ein Irrtum, und das mit der Schere war euch unbekannt.
Und was die Unschuld damit macht, ebenso.
Vielleicht wollt ihr es auch nicht erfahren, denn wenn ihr es wisst, so werdet ihr nie wieder alleine im Dunkeln schlafen.
Ich erzähle es euch nicht. Nicht ganz.
Ich öffne nur die Türe einen Spalt, dahin, wo es immer hell ist und Zuckerwatte auf rosa Bäumen blüht und Regenbogen mit Kinderlachen verstecken spielen. Und zeige euch, dass jemand in diese Welt noch niemals einen zarten nackten weißen Fuß gesetzt hat, ihr ahnt es schon wer: die Unschuld.
Wenn ich jedoch das Licht lösche, wenn wir an Orte gehen, wo jemand heimlich eher stöhnt als seufzt, wo harte Hände weiches Fleisch berühren, wo Polyesterstrümpfe verrutschen und der Durst aus scharfen Gläsern fällt, dann können wir sie beobachten, die Unschuld, wie sie mit ihrer Schere Bäuche aufschneidet und sich das zurückholt, was ihr gehört.
Rasch ziehe ich die Tür zu dieser Szene wieder zu.
Zurück bleibt für euch nur ein Hauch von Sommerflieder, und wenn ihr einschlummert, erträumt ihr euch das weiße Kleid der Unschuld und beinahe Vergessenheit.

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