
Das alte Jahr reicht dem neuen bereits die Hand, mit ein wenig Wehmut vielleicht, weil Abschiede nie ganz ohne Schmerzen sind. Meine Hände sind voll von all dem, was das alte Jahr mir dagelassen hat, ich weiß nicht wohin damit, und ein paar Schmerzen sind auch dabei. Natürlich.
Ich könnte sie wie ungewollte Tierchen in dem Fluß ertränken, der uns alle durch die Feiertage spült, dem Fluß aus künstlichem Lebkuchenduft und lieblosen Panikgeschenken, aus vergewaltigten Volksliedern und verkaufter Rührseligkeit, aus verzweifelten Fressgelagen und missbrauchten alten Männern mit weißem Bart.
Die wilde Jagd reitet auf neuen Pferden. Die Seelen gehen nicht mehr im Geisterreich verloren, sondern zuhause. Einsam. Vor bunten Bildschirmen.
Deswegen schicke ich dir einen Kuss mit einem Wunsch, weil sowohl Küsse als auch Wünsche in dieser Zeit eine Bedeutung haben.
Ich wünsche dir, dass du Inseln findest in diesem Fluß. Ein bisschen Licht in einem Fenster, und sei es nur ein Plastikstern, das deinen Weg erleuchtet. Ein Geschenk, das dein Herz berührt, und sei es eines, das du dir selber machst.
Liebevoll zubereitete Speisen auf schönen Tellern in Gesellschaft. Und sei es nur dein imaginärer Freund.
Ein bisschen plötzliche Fröhlichkeit, ein paar Melodien, die dich daran erinnern, wie schön dein allererster Christbaum war, ein Glas, das du auf einen verstorbenen Gefährten hebst, ein aufgeregtes Kinderlachen, ein dicker Wollpulli und heiße Schokolade mit Zimt, ein magischer Moment diesem reißenden Fluß, in dem du lächelst und erkennst, dass diese Schmerzen, die du mit dir trägst nichts weiter sind als ein Stück vom Leben, genauso wie das Glück.
Ich nehme meine kleinen Schmerzen mit ins neue Jahr. Ich muss sie nicht ertränken. Stattdessen baue ich gleich Einhörner aus Glitzerknete mit meinen Nichten und bereite mich mental aufs abendliche Weihnachtsliedersingen vor. Manchmal ist auch ein bisschen Mitschwimmen nicht schlimm.
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