Ich war ein Junge. Damals, als meine Knie immer blutig waren oder nur kurz abgeheilt von all den rauen Berührungen der Bäume und des Asphalts.
Ich versteckte mich unten am Fluss, der nichts weiter war als ein winziger Bach ohne Namen, aber nicht für mich. Denn sobald die Schule mich freigab, war ich Huckleberry Finn und Störtebeker und Robin Hood und Winnetou, alle zusammen, warum auch nicht.
Ich segelte auf verfluchten Schiffen, besiegte Schurken mit blossen Fäusten und trank Rum, obwohl mein innerer Winnetou mich für den Konsum von Feuerwasser tadelte.
Dann wurde mir authentisch schlecht, weil ich den Rum heimlich aus braunem Zucker und Apfelsaft angerührt hatte, und ich kotzte in den Fluss, und mein innerer Störtebeker jubelte.
Ich baute ein Floss aus Zweigen, mit dem ich bis ins Weltall segeln würde und bewarf dann den Sheriff von Nottingham mit Nüssen, der vorübergehend die Gestalt unseres Nachbars angenommen hatte, der gerissene Hund.
Abends kam ich nach Hause mit Dreck im Haar und Steinen in der Tasche, die aus Gold waren, und ich las zum Einschlafen neue Geschichten für den nächsten Tag.
Irgendwann erklärte mir jemand, dass es keine freie Entscheidung wäre, ein Junge zu sein, sondern dass es etwas damit zu tun hätte, wie es zwischen meinen Beinen aussah. Ich war verärgert. Aber offensichtlich konnte ich nichts dagegen tun. Ich suchte nach Geschichten über Frauen, die sich prügelten und Rum tranken, aber ich fand nur welche über Mädchen auf Ponyhöfen und in Internaten.
Nach und nach wurde ich selbst zu einem Mädchen. Ich trug sogar Röcke. Aber darunter blieben meine Knie blutig und der Schorf, der ist immer noch da, auch wenn ihn niemand sehen kann.

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